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Verlorene Form, von Thomas Virnich - 1994

Beschädigte Marienfigur mit fehlendem Gesicht und Kind, im Grünen platziert

Thomas Virnichs Arbeit Verlorene Form (Madonna), eine in ein rostiges Eisengerüst eingefasste und vor einer Backsteinstele montierte Keramikskulptur, ist das Resultat eines Prozesses der Aneignung und Umformung:
Aus erworbenen Scherben historischer Madonnenfiguren nahm Virnich mit Ton Negativabdrücke, die er anschließend brannte. So entstand kein Abbild im herkömmlichen Sinn, sondern eine leere Hülle – ein invertiertes Echo einer dieser Arbeit vorausgehenden, nicht mehr fassbaren Figur. Das Fragmentarische bleibt sichtbar, wird nicht kaschiert: Risse, Brüche und Spuren des Zerfalls durchziehen die Oberfläche, als wollte die Skulptur selbst Zeugnis ablegen von einer Geschichte der Zerstörung und Neuformung.

Die Madonna, traditionell Symbol für Ganzheit, Trost und Unversehrtheit, erscheint hier als verletzte Figur. Verlorene Form (Madonna) ist eine Arbeit, die sich nicht über Repräsentation, sondern über Abwesenheit artikuliert – und gerade darin ihre spezifische Präsenz entfaltet. In ihren Themenfeldern von Abdruck, Reproduktion und Absenz korrespondiert sie mit Dorothee von Windheims Sammlung von Christus-Bildnissen Salva Sancta Facies im Sakralraum von Pax Christi und konfrontiert den Betrachter in ähnlicher Weise mit in seinem Kopf vorhandenen Bildern.

Ankunft in Pax Christi 1995

Keramik in Eisen gefasst 79 x 37 x 14 cm

Der Zufall spielte Thomas Virnich diese Form Elemente einer Madonna, einer Marienfigur zu.
Zusammengesetzt, im Kirchgarten von Pax Christi, hat diese Figur ihren neuen Ort gefunden.
Die Fragen wie:

  • Was ist das, was sich da abbilden lässt?
  • Was wird dort geformt?
  • Wessen Abbild bin ich?
  • Was formt mich?
  • Wo forme ich andere? –

ist die eine Assoziationskette.

Die andere ist:

  • Was hat sich nie herausgeformt?
  • Welche Kinder sind nie geboren worden?
  • Welche Kinder habe ich nie bekommen können?

Einen Ort zu haben für dieses nicht Geformte, nicht Ausgeformte, Ungeborene, im Raum Schwebende ist gut aufgehoben im Kirchgarten von Pax Christi.

In der verlorenen Form, der Madonna, der Gottesmutter haben diese Fragen Raum und schützende Hülle - wie unter dem Mantel einer Schutzmantelmadonna.

Anne Hermanns-Dentges